Heinz Liebscher

Systemtheorie und Kybernetik in der philosophischen Sicht von Georg Klaus

Resümee:

Systemtheorie und Kybernetik und mit diesen Gebieten verbundene wissenschaftliche Disziplinen spielen im Denken von Georg Klaus eine herausragende Rolle. Das politische Klima in der DDR war zu dieser Zeit (in den 60er Jahren) für einen Aufschwung des wissenschaftlichen Lebens im Lande günstig. Klaus begriff, dass Kybernetik und Systemtheorie tief in das materielle und geistige Leben seines Landes einwirken werde. Zugleich war Klaus davon überzeugt, dass diese neuen wissenschaftlichen Entwicklungen auch Einfluss auf die wissenschaftliche Fortentwicklung der marxistische Philosophie haben werde.

Ganz wesentlich für sein Engagement für die Kybernetik war der hohe Abstraktionsgrad der kybernetischen Begriffe und Methoden, die ihnen in starkem Maße einen fachverbindenden Charakter verliehen und ihre Begriffs­bildungen, ihre Theorieansätze und ihre Methoden aus der Sicht von Georg Klaus damit sogar in die Nähe philosophischer Begriffe, Theorien und Methoden brachte. Klaus studierte intensiv die einschlägigen Originalarbeiten zur Kybernetik und zu mit ihnen verknüpften mathematischen Formalismen. Das betrifft z.B. Arbeiten von Norbert Wiener und John von Neumann.

Dem marxistischen Philosophen Georg Klaus als exzellentem Kenner mathematischer Denkweisen musste in diesem Zusammenhang natürlich einfallen, dass schon Karl Marx die außerordentliche Bedeutung der Mathematik für ein präzise, angemessene Beschreibung von Phänomenen eines Gebiets der wissenschaftlichen Untersuchung bewusst war und dass er sogar manche seiner Überlegungen auf ökonomischem Gebiet als begriffliche Vorbereitung einer mathematischen Fassung angesehen haben mag.

Georg Klaus hatte nicht nur ein tiefes Verständnis für die gewaltige Entwicklung der Mathematik im 20. Jahrhunderts im allgemeinen, sondern erkannte auch die sich vollziehende Ausdehnung auf neue, früher für die Mathematik unzugänglich erscheinende Gebiete. Klaus verfolgte Zeit seines Lebens wissenschaftliche Entwicklungen in aller Welt. Einem „DDR-Zentrismus“ und in offiziellen Verlautbarungen nicht selten anzutreffende Überschätzungen von wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Leistungsvermögen des aus seiner Sicht kleinen Landes DDR war er nie verfallen. In einem Land wie der DDR, in dem ein orthodox-dogmatisches Verständnis von marxistischer Philosophie vorherrschte, musste den Klausschen Ideen auf Schritt und Tritt Miss- und Unverständnis, Kritik oder gar Feindschaft entgegentreten.

In vielen seiner Publikationen werden philosophische Fragen von Mathematik und Kybernetik behandelt, wird auf den Nutzen von Mathematik und Kybernetik für eine allgemeine Methodologie der Wissenschaften und für die Wissenschafts­theorie eingegangen und in solchen Zusammenhängen auch auf verschiedene Aspekte der Fortentwicklung der marxistischen Philosophie im Sinne von Georg Klaus. In Verbindung damit wird auf ein Projekt eingegangen, das in wissenschaftshistorischen Arbeiten zur DDR-Philosophie noch kaum erwähnt wurde: Das 1967 in der DDR erschienene Lehrbuch „Marxistischen Philosophie“, an dem Klaus intensiv beteiligt war.

Georg Klaus sah wohl in diesem Projekt eine exzellente Gelegenheit, philosophisch relevanten Ergebnisse der modernen Logik, der Physik, der Kybernetik und anderer wissenschaftlicher Disziplinen zu berücksichtigen, um damit das marxistische philosophische Denken zu bereichern. Wenn der Versuch von Georg Klaus, eine in seinem Sinne verbesserte Gestalt der marxistischen Philosophie schon durch die akademische Lehre einzubringen, letztlich auch scheiterte, bedeutet das keineswegs, dass seine Ideen und sein ganzes Wirken ohne Einfluss auf das wissenschaftliche Leben in der DDR geblieben sind.

Wenn man das hier skizzierte Philosophieverständnis von Georg Klaus zu Grunde legt, sollten gewisse, seinerzeit in der DDR geführte Diskussionen in einem deutlicheren Licht erscheinen. Konkrete Beispiele hierfür werden erläutert. Georg Klaus, darauf bedacht, auch die Philosophie als eine für den Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaft nützliche wissenschaftliche Disziplin zu gestalten, engagierte sich bis zuletzt dafür, eine philosophische Forschung in diese Richtung zu lenken. Unter den seinerzeit bestehenden Bedingungen in der DDR hieß das für Georg Klaus auch, energisch für die Herausbildung einer Grundlagenforschung auch auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften einzutreten.

Wer Gelegenheit hatte, Georg Klaus persönlich näher kennen zu lernen, wird bestätigen können, dass er bei vielen Gelegenheiten den beklagenswerten Zustand der von ihm vertretenen und vehement verteidigten Philosophie des dialektischen Materialismus konstatierte. Um auf dem wissenschaftlichen Niveau der Zeit zu stehen, meinte er, müsse die Philosophie die neuen Resultate wissenschaftlicher Gebiete gründlich studieren, um ihre philosophische Relevanz zu prüfen und um Ergebnisse, die systematisch-theoretisch und methodologisch wichtig sind, in das System des dialektischen Materialismus zu integrieren.