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Heinz Liebscher

Fremd- oder Selbstregulation?

Systemisches Denken in der DDR zwischen Wissenschaft und Ideologie

LIT-Verlag, Münster 1995

ISBN 3-8258-2181-1

Eines der zentralen theoretischen Themen des Buches ist die Selbstorganisation sozialer Prozesse. Der Autor geht von der Annahme aus, dass die menschliche Gesellschaft auf allen ihren Entwicklungsstufen ein hochkomplexes selbstregulierendes System im Sinne der Kybernetik ist.
Das Schicksal dieser systemtheoretischen Konzeption aus der Sicht des Autors, der sie in der DDR vertrat, wird lebensnah geschildert. Er leistet damit einen sachkundigen Beitrag zu einem seinerzeit brisanten Thema der Wissenschaftsentwicklung. Mit seinen detaillierten Belegen durch Quellenmaterial zeichnet sich die Schrift durch hohe Authentizität aus.

Inhaltsverzeichnis

  1. 5 Vorwort
  2. 8 Aufstieg von Systemtheorie und Kybernetik in der DDR
  3. 29 Von Förderung zu Überschwang
  4. 53 Fall und Ächtung einer wissenschaftlichen Denkweise
  5. 68 SED-Führung und Wissenschaftsverständnis konkret
  6. 84 Wissenschaftliche Arbeit zwischen Widerspruch und Kompromiß
  7. 99 Meinungsstreit in der Wissenschaft à la DDR
  8. 126 Vergeblicher Zwist mit Apologeten
  9. 148 Epilog
  10. 154 Anhang

In diesem Anhang wird erstmalig die "Denkschrift über die Bedeutung der Kybernetik für Wissenschaft, Technik und Wirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik" (in ihrer Endfassung vom 23. Oktober 1962), wie sie von der Kybernetik-Kommission der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin erarbeitet wurde, veröffentlicht.

Auszug aus einer Pressestimme von 1969 zu den im Buch beschriebenen Vorgängen in der DDR:

"Einige Kybernetiker waren nämlich dazu übergegangen, die Gesellschaft nicht mehr ‚vom marxistischen Klassenstandpunkt aus’ zu betrachten, sondern nur noch als objektive Struktur, als sich selbst regulierendes System. Der Genosse Liebscher vom Institut für Philosophie der Deutschen Akademie der Wissenschaften stellte in einem Artikel sogar fest, dass die Gesellschaft auf allen ihren Entwicklungsstufen stets ein solches System gewesen ist und dass es sich bei Klassenkämpfen immer nur um die ‚innere Störung’ des Systems gehandelt hat. Das war für die SED Grund zum Einschreiten.
Sie wird sich dabei gedacht haben, dass es von einer so objektivierten Betrachtungsweise wie der des Genossen Liebscher nicht mehr weit sei zu der Einsicht, dass auch im sozialistischen System mit ‚inneren Störungen’ gerechnet werden muss und dass vielleicht gerade die prätotente, allzu oft von keiner Sachkenntnis getrübte und rein politischen Antrieben folgende Einmischung der Partei in alle Lebensbereiche der größte und der am schwersten kalkulierbare Störfaktor ist." (Günter Zehm in "Die Welt" vom 12.5.1969 unter der Überschrift "Front gegen Dichter und Kybernetiker. Das Zentralkomitee der SED in Ost-Berlin beschäftigt sich mit ideologischen Fragen".)

Auszug aus einer Rezension meines Buches von John Erpenbeck aus dem Jahre 1996

Erpenbeck bemerkt, es habe Liebschers "Bezug auf die Entwicklung systemischen Denkens in der DDR auch systematische und historiographische Gründe. Systematische – insofern sich in dem Meinungsstreit um Kybernetik und moderner Informationstechnologien der gesamte Aufstieg und Fall des deutschen und internationalen Sozialismusexperiments nach dem Zweiten Weltkrieg widerspiegelt. Historiographische – insofern Liebscher mit der ihm eigenen unachamlichen Präzision und aufgrund seiner überwältigenden Detailkenntnis jede Nuance des verschlungenen Denkkampfes um Freiräume und Zukunftsfähigkeit anschaulich, farbig, manchmal regelrecht spannend zu schildern in der Lage ist." (Report 38. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung. Frankfurt am Main, Dezember 1996, S. 103f.)